Darf man mit Nazis in der Kurve stehen?
Darf man mit Nazis in einer Kurve stehen?
Nein
Von Maik Krükemeier , Redakteur des St.Pauli Fanzine Übersteiger, das auch einen sehr hörenswerten Podcast, den Millernton, produziert.
Prima Idee: „Schreib doch mal was zum Thema: ‚Darf man sich mit Nazis in die Kurve stellen?‘“
Ist als St.Pauli Fan ja schnell gemacht: „Nein.“
Artikel Ende.
Tja, so einfach ist es natürlich nicht, dies zeigt unter anderem die gerade beendete Ausstellung im Vereinsmuseum im Millerntor, „Fußball in Trümmern – FC St.Pauli im ‚Dritten Reich‘“.
Auch der kleine sympathische Stadtteilverein, der sich gerne rühmt so anders zu sein (und es wahrscheinlich tatsächlich in ganz vielen Bereichen des Profisports auch ist) war nicht immer ein Hort des Antifaschistischen Widerstandes und des konsequenten Kampfes gegen Rassismus, Homophobie, Sexismus und andere Diskriminierungen.
Ich will nicht die ganze Geschichte vom Hamburger Kessel, der Hafenstraße, der Totenkopf-Fahne und vielen weiteren Dingen erzählen, die dazu führten, dass aus einem ziemlich normalen Verein Mitte/Ende der 80er eben jener Verein wurde, der heute tatsächlich für all diese Begriffe völlig zurecht steht. Aber die Vertreibung des damaligen Fanclubs „United“ sowie seiner politisch weit Rechts stehenden Mitglieder war harte Arbeit – insbesondere auch körperlich.
Es ist jenen Aktiven der damaligen Zeit zu verdanken, dass es heutzutage undenkbar ist, dass Rechtsradikales Gedankengut innerhalb der St.Pauli-Fanszene auch nur in Ansätzen geduldet werden würde. Aber seit dieser Zeit ist es eben eine ständig weitergehende Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies so bleibt. Die Stadionordnung wurde auf Initiative des MillerntorRoar (Vorläufer des noch heute erscheinenden Übersteiger-Fanzines) um Paragraphen gegen eben jene Diskriminierungen ergänzt. Der Stadionname wurde auf Beschluss der JHV von „Wilhelm-Koch-Stadion“ zurück auf „Millerntor“ geändert, nachdem publik wurde, dass Koch Mitglied in der NSDAP war [zu den Umständen dessen und der eingangs erwähnten Ausstellung ist eine Folge des Rückpass-Podcasts sehr zu empfehlen].
Regelmäßig gab es vom Fanladen, dem Fanclub-Sprecherrat oder Einzelgruppen Aktionen, in denen unter anderem auch explizit auf die Wortwahl im Stadion hingewiesen wurde. „Schwuchtel“, Schwule Sau“, „Schwarze Sau“, „Fotze“ und ähnliche Begrifflichkeiten, die im Stadion leider lange üblich waren (und es heute bei ein paar anderen Vereinen vielleicht auch noch sind) konnten so minimiert werden. Aber auch hier: Das ist keine Geschichte, die man mal eben schnell aufzieht und die dann dauerhaft geklärt ist. Gerade homophobe oder sexistische Begriffe tauchen leider auch am Millerntor immer mal wieder auf und es bedarf des Einschreitens von jedem Einzelnen, um dies immer wieder aktiv anzusprechen und als das zu bezeichnen, was es ist. Diskriminierung.
Oft kommt dann ein „Hey, das hab ich doch nicht so gemeint, das sagt man doch nur so.“ – aber genau darum geht es. Wer Bezeichnungen wie „Schwul“ als Schimpfwort im Stadion verwendet, benutzt dies auch im Alltag in ähnlicher Form und macht es als Beschimpfung „normal“.
Wird dies am Millerntor konsequent angesprochen, wenn es denn mal vorkommt? Ich glaube schon, zumindest in den allermeisten Fällen. Meine Begründung für diese Annahme: Man fühlt sich sicher. Man ist in der absoluten Überzahl. Und natürlich ist man moralisch im Recht.
Womit wir zur Ausgangsfrage zurückkommen. In einem Umfeld, in dem es absolut normal ist, dass man bei Diskriminierungen einschreitet und im Zweifel dann auch von anderen sofort Unterstützung erfährt, kann man natürlich auch gegen Nazis vorgehen. Allein: Dies ist am Millerntor (im Gegensatz zu oben erwähnten homophoben oder auch sexistischen Beleidigungen) tatsächlich nicht nötig, weil auch Nazis nicht so dumm sind, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.
Daher fällt es als St.Pauli-Fan natürlich auch leicht, die Nase zu rümpfen und abschätzig auf andere Fanszenen zu schauen, vorzugsweise aus dem Osten, weil die ja ihre Naziproblematik nicht in den Griff kriegen. Dies kann man auch auf Twitter immer wieder nachlesen und dürfte sicher auch einer der Gründe sein, warum St.Pauli-Fans gerne als arrogant wahrgenommen werden. Dynamo [Dresden] schreibt Statements gegen Rechts auf die Anzeigetafel oder aufs Trikot? „Haha, ja, es bringt bei Euch ja aber eh nichts.“ Hansa Rostock schmeisst NPD-Wähler aus der Kurve? „Haha, ja, sind immer noch genug andere da.“
Dabei ist es gerade bei Vereinen wie Dynamo oder Hansa so viel bemerkenswerter, wenn sich Personen oder Gruppen gegen Rechts positionieren. Denn im Gegensatz zum vermeintlichen Paradies Millerntor, wird man dort nicht zwangsläufig von den Umstehenden unterstützt, wenn man einschreitet. Im Zweifel bekommt man dann auch noch körperlich einen Verweis erteilt und drumrum wird weggeschaut.
Union ist da (gerade aus St.Paulianischer Sicht) ja auch ein Extremfall. Viele Leute, mit denen man bestens klar kommt, die politisch wahrscheinlich einem selbst sehr nahe stehen. Und trotzdem bei jedem Spiel an der Alten Försterei auch immer ein wenig Unwohlsein, gerade wenn man alleine unterwegs ist, weil man sich doch nicht sicher sein kann, dass um die nächste Ecke nicht vielleicht doch auch Union-Fans stehen, die das komplett anders sehen. Und in der Alten Försterei wird (zumindest in meiner Wahrnehmung von außen) dieses Thema komplett ausgespart, „Hauptsache Unioner“. Politik bleibt außen vor.
Soll man also mit Nazis im Stadion stehen? Natürlich nicht, man muss alles versuchen um sie zu vertreiben. Dies gilt im Stadion wie im normalen Leben.
Man sollte aber umgekehrt auch die Bemühungen der Leute würdigen, die sich ihren Verein nicht von solchen Arschlöchern nehmen lassen wollen. Einige linke Fußballfans haben sich mit der Zeit vom eigenen Verein abgewandt und sind zum FC St.Pauli (oder TeBe, Babelsberg oder anderen Vereinen) konvertiert. Das ist natürlich auch völlig in Ordnung – den eigenen Verein aber zu einem besseren machen zu wollen und ihn eben nicht den Nazis zu überlassen, ist der deutlich schwierigere Weg. Fragt nach in Braunschweig oder Aachen.
Gibt es einen Zeitpunkt, wo man den Kampf aufgeben soll, wo man sich zurückzieht und denkt „Ich tue mir das nicht mehr an!“? Sicher, der dürfte aber sehr individuell gesetzt sein und auch stark von der eigenen politischen Überzeugung, den körperlichen Möglichkeiten und der Vernetzung im Verein, Freundeskreis, Fanszene und vielem mehr abhängen. Für mich ist jeder „korrekte“ Fußballfan, der im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, etwas in seinem Verein zum Guten zu verändern jedenfalls weiterhin absolut zu unterstützen – und nicht zu belächeln.
Ich bin umgekehrt natürlich sehr froh darüber, Fan eines Vereins zu sein, bei dem schon vieles sehr gut läuft – wieviel Anteil auch immer ich selbst daran besitze. // Frodo
Ja
Eins vorweg: Dass ein Argument, das zeigen soll, dass man mit Nazis in einer Kurve stehen darf, oder vielleicht muss, keine Rechtfertigung der Präsenz von Faschismus im öffentlichen Raum sein kann, sollte klar sein. Denn Faschismus und Nazismus sind keine Positionen, die im Austausch von politischen Meinungen und Gründen vorkommen, sondern Haltungen, die den Menschen, gegen die sie sich richten, das Recht zu existieren absprechen und so allen unerträglich sind (oder sein sollten). Die Frage ist, was daraus folgt, wenn es aber doch Nazis und Faschisten gibt, die am öffentlichen Leben teilnehmen.
Das eigentliche Problem für nicht-faschistische Fußballfans liegt darin, dass aus der Unzulässigkeit von Faschismus nicht nur ein Verbot folgt, Nazisymbole zur Schau zu tragen oder diese Haltung sonstwie zu demonstrieren, sondern auch ein Gebot, Faschisten von sozialen Aktivitäten überhaupt auszuschließen. Das liegt daran, dass Nazi zu sein oder nicht eben keine politische Meinungsverschiedenheit ist, sondern eine Frage der Akzeptanz von notwendigen Bedingungen für gesellschaftliche Interaktion. Aus demselben Grund kann (darf) es keinen Unterschied zwischen nicht- und anti-Faschisten geben.
Es ist nicht so, dass man nicht heraus finden könnte, wer von einem solchen Ausschlussgebot betroffen sein sollte. Zwar mag die nazistische Gesinnung eines sogenannten Menschen nicht in jedem Moment der Begegnung mit ihm - ja, meistens 'ihm' - offensichtliches sein. Aber um diese Gesinnung sichtbar zu machen reicht es nicht selten aus, einen öffentlichen Raum schlicht als entschieden antifaschistisch zu kennzeichnen. (Und das dann eben so lange aufrecht zu erhalten, wie Nazis und Faschisten ein real existierendes Problem sind.) Diese Menschen haben schließlich die Angewohnheit, sich schon von allein bemerkbar zu machen, wenn sie so konfrontiert werden - wie nicht zuletzt Szenen oder einzelne Fans merken, die sich im Stadium oder dessen Umfeld entsprechend positionieren.
Es ist also möglich deutlich zu machen, dass Nazis in einem Forum wie etwa einem Stadion nicht erwünscht sind und dort nicht geduldet werden. Der Grund dafür, dass dieser Artikel nicht hier schon endet, sondern die Sache etwas komplizierter ist, liegt darin, dass solche Bemühungen trotzdem scheitern können, oder wenigstens nicht sehr schnell gelingen.
Folgt aus solchem Scheitern nämlich schon eine Schuldigkeit derer, die sich nun nicht selbst aus dem umstrittenen Raum (Stadion) zurück ziehen, und es also mit personae non gratae teilen? Kontaminiert die Anwesenheit von Nazis ihren eigenen Bezug etwa zu einem Fußballverein, der selbst keine faschistischen Konnotationen, aber eben Nazis unter seinen Anhängern hat?
Ja, das tut sie. In Fußballstadien wird kollektiv gehandelt, auf dem Platz und darum herum. Das schafft soziale Verbindungen, die man mit Nazis eigentlich nicht eingehen möchte. Wenn man Dinge ruft oder singt wie 'Wir sind Unioner | alle Dortmunder Jungs | die Macht vom Niederrhein", schließt das eben alle, die daran teilnehmen mit ein. Nazis so das Recht zuzugestehen, in einer gesellschaftlichen Gruppe, der alle ja nicht zwangsweise angehören, sondern die sie sich aussuchen, ist erst einmal falsch - und Maik hat Recht wenn er den Anspruch formuliert, das nicht zuzulassen.
Aber Fußball hat vielleicht eine besondere soziale Funktion, Verankerung, Reichweite. Nicht nur hier treten Nazis mit der Gesamtgesellschaft in Kontakt - das zu behaupten, würde schon eine falsche, wenn auch beruhigende Trennung dieser beiden Sphären behaupten. Aber ein Stadion ist ein Raum, in dem Antifaschisten und Antirassisten; Nazis und Faschisten; und solche Menschen, die sich zwischen diesen beiden (die Möglichkeiten ausschöpfenden) Optionen noch nicht entschieden haben, miteinander in Berührung kommen.
Dieses Feld zu räumen ist ein so großer politischer Fehler, dass so zu handeln auch moralisch nicht vertretbar ist. Deshalb ist es gut und wertvoll, wenn sich Menschen wie die im Projekt 1953international in Dresden gegen rassistische Akte im Stadion engagieren, auch wenn ihre Ambitionen nicht so weit reichen, daraus eine dezidiert Nazi-freie Zone wie am Millerntor zu machen.
Die Alternative zu diesem Engagement und ihrer Präsenz in und um den K-Block wäre mehr, und nicht weniger, Akzeptanz für Rassismus.