Doping und Kollektivstrafen

Nehmen wir an, ein oder zwei Spieler einer Bundesligamannschaft würden Doping benutzen, ohne dass ihre Vereinen dazu anhalten, auffordern oder es administrieren. Sollten Vereine und Mannschaften für individuelles Doping kollektiv bestraft werden?

Reale Kollektivschuld

Von Daniel Roßbach

In einem Mannschaftssport wie Fußball führt kein Weg daran vorbei, Kollektivstrafen für Doping einzuführen. Und das nicht nur aus praktischen Gründen, oder weil es die klügste Entscheidung ist, sondern auch, weil es moralisch geboten ist. Nur indem Kollektivstrafen verhängt werden, indem das Schicksal von Mannschaften oder ganzen Vereinen aufs Spiel gesetzt wird, selbst wenn auf institutioneller Ebene keine Verstöße begangen wurden, können wir hoffen, systemisches aber nicht systematisches Doping effektiv zu bestrafen und zu verhindern.

Nun klingt 'Kollektivschuld' nach einem dezidiert unmoralischem Prinzip. Doch wenn dieses Prinzip - das vielerorts hochgefährlich und fehl am Platz ist - irgendwo gerechtfertigt werden kann, dann hier, wo es die einzige Option ist, individuelles Doping fair und wirksam zu bestrafen

Nicht-gedopte Spieler in gedopten Mannschaften als im Kollektiv schuldig zu behandeln ist sowohl praktisch nötig als auch moralisch richtig.

Aber warum reicht es nicht, Dopingsünder zu sperren und ihnen Titel abzuerkennen?

Fußball ist ein Mannschaftssport. Wenn einzelne Spieler ihre Bemühungen einbringen, sind sie nie Einzelleistungen, sondern werden sofort in die Mannschaftsleistung integriert. Jeder Spielzug - jeder Konter, jede Pressingfalle, jede Eckenverteidigung - bezieht beliebig viele Spieler am und abseits des Ball ein. Obwohl offensichtlich manche Spieler ihre Mannschaft mehr beeinflussen (man denke an Messi für Argentinien) , und andere weniger (Mario Götze gegen Frankreich bei der EM 2016), ist es doch in allen Fällen unmöglich, irgendjemandes Anteil am Resultat in einer messbaren Weisen zu vereinzeln. (Das ist ja nicht einmal in Wertungen sinnvoll möglich, die es einfacher machen als ein Fußballspiel, etwa die Teamwertung eines Radrennens.) *

Das bedeutet, dass wir die chemisch verbesserte Leistung nicht schlicht von der ansonsten sauberen Mannschaftsleistung abziehen können - ohne überhaupt darüber nachzudenken, wie wahrscheinlich sie sauber ist. Es gibt schlicht keine sauberen Mannschaften mit gedopten Spielern, und nicht einmal saubere Spieler in einem gedopten Team - genau wie es keine unpolitischen Menschen in faschistischen Gesellschaften gibt, und keine nicht-faschistischen Gesellschaften mit faschistischen Institutionen.

So stehen, wie mir scheint, nur zwei Möglichkeiten zur Wahl: Einzelne Spieler, die durch Doping auffallen, zu sperren und vielleicht Geldstrafen gegen den Club zu verhängen, die sich dadurch rechtfertigen, dass er das individuelle Fehlverhalten zugelassen hat, aber die Ergebnisse bestehen zu lassen, genauso wie die Pokale in den Regalen. Oder die Leistung der Mannschaft insgesamt als kontaminiert zu sehen, und folglich zu annullieren, womit Spiele under the influence für den Gegner gewertet werden.

Diese Art der kollektiven Bestrafung für das Verhalten Einzelner mag unfair erscheinen. Doch in Wahrheit ist sie nicht weniger unfair, als Siege und Meisterschaften zu vergeben, die auf die Leistungen einzelner Spieler zurückgehen, während andere unter ihrem Niveau spielten. Denn was bisher über die kollektive Natur des Spiels gesagt wurde schließt nicht aus, dass die Leistungen spezieller Spieler Einfluss haben. Es bedeutet nur, dass sie im Ergebnis ebenso als Teil des Ganzen gesehen werden müssen wie gedopte Beiträge.

Das ist, was es bedeutet, einen Mannschaftssport zu betreiben: Mein Pass auf einen gedopten Mitspieler ist selbst gedopt, ohne dass ich mich unmoralisch verhalten habe, bin ich schuldig für sportlichen Betrug. Für ungedopte Spieler in gedopten Teams gibt es keine Unschuld, sondern nur tragische Verstrickung.

Außerdem gibt es bereits Präzedenzfälle für derartige Strafen gegen Klubs: Als etwa Real Madrid in der Copa del Rey einen gesperrten Spieler einsetzte, wurde die Mannschaft dafür aus dem Wettbewerb ausgeschlossen.

Es sollte also klar sein, dass Vereine auch dann das adäquate Ziel von Strafen sind, wenn sie Doping in ihren Mannschaften nicht orchestriert haben - schließlich hätten sie mehr sein können als unbeteiligte Beobachter, hätten sie proaktiv verhindern können, dass gedopte Spielerinnen sie vertreten.

Aber was, wenn sie sich darum bemüht haben? Nun, trotz besten Bemühens zu verlieren, ist worum es im Sport geht.

Juventus 96

Die Juventus Mannschaft von 1996 feiert den Gewinn der 'Trofeo Berlusconi'. Ihr wurde systematisches so wohl als individuells Doping vorgeworfen.

Ich habe eingangs behauptet, dass Kollektivstrafen der einzige Weg sind, Doping effektiv zu ahnden. Aber was sind eigentlich die Standards, an denen ich die Effektivität der Strafen bemesse? Sollten wir uns bemühen, Regeln zu formulieren, die es vermeiden, jemals unfaire Strafen auszusprechen? Oder sollte es uns darum gehen, den besten - und fairsten - Endzustand herzustellen, selbst wenn wir dazu in Einzelfällen scheinbar unfaire Urteile aussprechen müssen?

Selbst wenn ich falsch damit läge zu behaupten, dass es gerecht ist, Spieler, die nicht selbst gedopt haben, als schuldig zu betrachten, machen konsequentialistische Überlegungen deutlich, dass Kollektivstrafen richtig sind. Denn sie allein geben allen beteiligten Anreize, Doping nicht einzusetzen und aktiv daran zu arbeiten, dass kein Doping stattfindet. Die Regel, die ich vorschlage, zwingt sie darauf hinzuarbeiten, sportlichen Betrug weder zu organisieren, zu alimentieren noch zu tolerieren.

Worin besteht dieser Vorschlag? Wenn ein Spieler mit Doping erwischt wird, werden alle Spiele seiner Mannschaft in den 3 Wochen vor dem Test und 3 Wochen nach dem Test als verloren gewertet. Je nachdem, wann der Test erfolgt, könnte dies drastische Konsequenzen für das Erreichen sportlicher Ziele, die Ligazugehörigkeit oder gar die kommerzielle Existenz eines Klubs haben.

Um diese negativen Konsequenzen zu vermeiden, werden Vereine sicherstellen, die Regeln nicht zu verletzen. (Vorausgesetzt wird hier selbstverständlich, im Gegensatz zur Realität im Moment, ein funktionierendes Testsystem.) Klubs würden nicht nur aufhören, Doping implizit von ihren Spielern zu fordern - etwa durch Erwartungen an Leistungsentwicklung und Rehabilitation -, sondern auch interne Tests durchführen, um ihre Ziele nicht zu gefährden.

Dieser Vorschlag hätte zur Folge, dass in Pokalwettbewerben, in denen kein fairer Turnierverlauf wiederhergestellt werden kann, Lücken in den Siegerlisten entstehen. Das ist dann allerdings dem Betrug, und nicht seiner Bestrafung, anzulasten.

Selbst wenn dieser Vorschlag nicht perfekt ist, bleibt er doch notwendig. Ohne eine solche Regel ist die wahrscheinlichste Form von Doping im Fußball (bedauerliche Einzelfälle) für die entscheidenden Akteure de facto risikolos und kostenfrei.

Unfairer Betrug, Faire Abhilfe

Von Jan Gertken - einem Philosophen, der Fußball liebt (aber normalerweise nicht darüber schreibt).

Warum ist Doping im Fußball so ärgerlich? Weil diejenigen, die dopen, sich und ihrer Mannschaft einen unfairen Vorteil verschaffen wollen. Wenn darin das Problem besteht, dann muss sich jeder Lösungsversuch an den gleichen Kriterien messen lassen.

Die fairste - oder eher: die am wenigsten unfaire - Lösung für das Dopingproblem im Fußball besteht darin, einzelne Übeltäter zu bestrafen und sicherzustellen, dass niemand bestraft wird, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen.

Zumindest sollte die Therapie in Sachen Fairness nicht schlechter dastehen als die Krankheit, die sie zu beheben versucht. Angesichts dieser Anforderung erscheinen Kollektivstrafen gegen ganze Teams (d.h. gegen alle Mitglieder einer Mannschaft) für die Dopingsünden Einzelner eine schlechte Idee zu sein. Die fairste - oder eher: die am wenigsten unfaire - Lösung für das Dopingproblem im Fußball besteht darin, einzelne Übeltäter zu bestrafen und sicherzustellen, dass niemand bestraft wird, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen.

Zunächst das Offensichtliche: Sobald gedopt wurde und das Kind in den Brunnen gefallen ist, gibt es keine Möglichkeit mehr, eine vollkommen faire Lösung zu finden, die mehr als nur annährend den Zustand herstellt, der sich ohne Betrugsversuch entwickelt hätte. Man stelle sich zur Veranschaulichung vor, Team A verliert gegen Team B, bei dem ein Spieler - nennen wir ihn Moto - zum Einsatz kommt, der später des Dopings überführt wird. Weigern wir uns, das ganze Team B zu bestrafen und ex post zu disqualifizieren, dann profitieren die Mitglieder von B auf unfaire Weise von Motos Handeln, während Team A unfair benachteiligt wird. Wenn wir jedoch Team B kollektiv bestrafen und die gesamte Mannschaft disqualifizieren, dann werden viele Spieler in Team B bestraft, die sich nichts zu Schulden kommen ließen. Mehr noch, in diesem Fall profitieren die Spieler von Team A davon, dass die nicht-betrügenden Spieler von Team B unfair behandelt werden. Im Lichte von Fairnesskriterien ist eine kollektive Bestrafung von B also mindestens so schlecht wie die Option, B nicht kollektiv zu bestrafen. (Natürlich gibt es noch eine dritte Option, nämlich Team A und Team B gleichermaßen zu disqualifizieren. Diese ist aber offensichtlich deutlich schlechter ist als die beiden bislang genannten, denn alle Mitglieder von Team A und alle sauberen Spieler in B erleiden nun die negativen Konsequenzen von Motos Betrug.)

thiago

Bayerns Thiago hat nicht nur einen doping test verpasst, sondern auch Berichten zufolge Wachstumshormon-Behandlungen angewandt. Natürlich insinuieren wir nichts.

Die am wenigsten unfaire Lösung für das Dopingproblem im Fußball besteht m.E. darin, einzelne Übeltäter zu bestrafen und sicherzustellen, dass niemand bestraft wird, der nichts Falsches getan hat. Dies bedeutet, dass wir den Ansatz der Kollektivbestrafung zurückweisen müssen. (Am Rande sei darauf hingewiesen, dass es natürlich Vergehen im Zusammenhang mit Doping gibt, die nicht darin bestehen, selbst Dopingmittel zu nehmen, sondern etwa darin, andere zu ermuntern, Doping zu nutzen, oder von Substanzmissbrauch zu wissen und diesen stillschweigend zu tolerieren. Für dieses individuelle Fehlverhalten brauchen wir natürlich ebenfalls passende Formen der Bestrafung.)

Damit Sanktionen gegen Einzelne so effektiv wie möglich ausfallen, und damit sie zumindest so weit wie möglich verhindern, dass Dopingsünder von ihren Handlungen profitieren, sollten sie nicht auf Sperren oder Bußgelder für überführte Spieler beschränkt sein. Spielern, deren Doping entdeckt wurde, sollten z.B. auch alle Titel entzogen werden, die sie mithilfe illegaler Substanzen gewonnen haben. „Titel“ ist hier in einem doppelten Sinn zu verstehen, da es einerseits die (un)sportlichen Ehren meint, und andererseits auch jedes Anrecht, diese bspw. für Werbezwecke etc. zu nutzen. Diese Regelung sollte für Pokal- wie Ligawettbewerbe gleichermaßen gelten, und vollkommen unabhängig davon, wie groß der Einfluss der illegalen Mittel auf die Leistung des einzelnen Spielers insgesamt war.

Dieser Vorschlag sanktioniert Einzeltäter und vermeidet Verschlimmbesserungen in Sachen Fairness. Da eine Mannschaft nicht dasselbe ist wie die Summe ihrer Spieler, ist es auch nicht widersprüchlich, die Leistungen einzelner Spieler nachträglich für illegitim zu erklären, die Mannschaft selbst aber weiterhin als Titelträger anzusehen. (Wenn alle Spieler gedopt sind, dann sollte natürlich die Mannschaft als ganze entsprechend disqualifiziert werden.)

Doch übersieht der oben formulierte Vorschlag nicht, dass es von besonderer Bedeutung ist, durch die richtigen Anreize sicherzustellen, dass Vereine Doping nicht stillschweigend befördern, sondern stattdessen aktiv darauf hinarbeiten, es zu verhindern? Nichts spricht dagegen, meinen Vorschlag durch entsprechende Elemente anzureichern. Vereine sollten dazu verpflichtet werden, alle zumutbaren Mittel zu wählen, um sicherzustellen, dass ihre Spieler nicht dopen. Dies könnte u.a. obligatorische interne Dopingtests bedeuten, inkl. hoher Strafen für jegliche Form von absichtlicher Täuschung oder Fahrlässigkeit. Sollten sich diese Anreize als unzureichend herausstellen, könnte man auch darüber nachdenken, Vereine für das falsche Handeln ihrer Spieler finanziell haftbar zu machen, selbst in solchen Fällen, in denen außer den gedopten Spielern niemand einen Fehler gemacht hat. Dies wäre zumindest der Absicht nach keine Form von Kollektivbestrafung. Einen Klub zu bestrafen, ist etwas anderes, als alle seine Mitglieder als Teil des Kollektivs zu bestrafen. Allerdings betreten wir an dieser Stelle eine Grauzone, denn in vielen Fällen werden Strafen für Vereine auch negative Konsequenzen für deren Spieler und Mitglieder haben, die sich allein aus der Vereinszugehörigkeit ergeben. Auch dieses System ist aber noch besser als jedes, das kollektive Sanktionen nicht nur als unvermeidliche Nebenwirkungen beinhaltet, sondern stattdessen gezielt versucht, Kopfschuppen mit Enthauptung zu behandeln.

Bilder: Thiago CC-by-SA 3.0 Rufus46; Juventus, public domain